Nachtrag

rueckwaerts. Bisher habe ich unsere Zeit in Krakau komplett ausgelassen. Das liegt vielleicht auch daran, dass Suedpolen nicht nur auf diese Stadt beschraenkt war, sondern wir auch einen Tag nach Oświęcim, sprich Auschwitz, gefahren sind. Um es mit Michael Ende zu sagen: Die Worte, um darueber zu schreiben, muessen erst noch in mir wachsen.

Daher zunaechst nur ueber den Krakau-Part. Es war eine gute Entscheidung von Warszawa nach Krakow zu fahren und nicht anders herum. Was Warszawa an Ruinen und Nachbauten hat, besitzt Krakau an alten Gebauden. Andersherum waere der architektonische Schock wahrscheinlich zu immens gewesen. In den 90ern wurde unglaublich viel Geld investiert, um das heruntergekommene Krakau wieder herauszuputzen. Und es hat sich gelohnt.
Die ehemalige Hauptstadt Polens wurde kaum zerstoert und in den kleinen Gassen bummeln Turisten von ueberall, einige tragen Trikots. Polen hatte gewonnen und als wir ankamen rannte die Euphorie rot-weiss geschminkt durch die Strassen.  In der Florianska stiegen wir im Tutti-Frutti-Hostel ab. Mit Fenster direkt zur Hauptfussgaengerzone und Schmetterlingbettwaesche. An den Waenden waren riesige Orangen. Leider hatte das Couchsurfen hier nicht geklappt, aber beim Fruehstueck am naechsten Morgen traf ich auf eine Gruppe von deutschen Student*innen, die via Couchsurfing und facebook einen Trip nach Krakau organisiert hatten. Incl. Schindlermuseum, Auschwitz, Salzmiene.

Krakau ist eine total schoene Stadt, mit einem turistisch-juedischen Viertel, das mich leicht ans Marais in Paris erinnerte. Es war mehr deutsch als polnisch in den Strassen zu hoeren. Unter dem Rynek Glowny, also dem Marktplatz, gibt es ein Museum zur Stadtgeschichte, relativ neu, 2 oder 3 Jahr. Hier kann man sich die Entwicklung, die Handelsbeziehungen, das kulturelle Leben und ein Maerchen zur Drachenlegende der Stadt angucken. Eigentlich wollten wir ueberhaupt nicht rein, lieber die Stadt oberirdisch erkunden, doch zwischen den Sonnenblumenstaenden wurden wir von einer polnischen Frau angesprochen. Sie redete und redete, wir verstanden irgendwelche Fetzen, die wir in der letzten Woche gelernt hatten. Versuchten ihr klar zu machen, dass wir weder wirklich verstehen, noch wirklich sprechen koennen, was ich im Uebrigen oft bereute. Unbeeindruckt erzaehlte sie weiter, gestekulierte, zeigte auf den Platz. Fuehrte uns zum Museumseingang. Wir fragten den Turistenguide am Eingang, erklaerten, dass wir sie nicht verstanden und gerne wissen wuerden, was sie uns erzaehlte, ob sie uns raet in dieses unterirdische Museum zu gehen. Er fragte. Fing an zu lachen. „Eigentlich moechte sie euch gerne den Eintritt zahlen.“ Zufrieden, dass wir nun endlich wussten, was sie von uns wollte, winkte sie uns zu und lief die Treppen hinab. So kamen wir zufaellig in das interaktive unterirdische Musum am Krakauer Marktplatz.

30 Stunden wach

zugwaerts. Ein langer Weg lag vor uns. 24 Zugstunden. Urspruenglich. Deshalb frueh ins Bett, noch schnell was zu essen kaufen und das letzte polnische Geld ausgeben (hat leider nicht geklappt, heute morgen fand ich noch Muenzen in meiner Tasche).
Von Krakow nach Katowice, schnell umgestiegen nach Zwardon. Der letzte Ort vor der slovakischen Grenze. Wir haben hunger. Finden ein restaurant gleich neben dem Bahnhof. Viel mehr als das und eine grosse Wanderkarte der Region gibt es auch nicht wirklich. Im Fernsehn laeuft das EM Spiel Frankreich – England. Zweite Halbzeit. Ich bestelle Pierogi ruskie. Garniert mit geduensteten Zwiebeln und Butter. Ein Hauch von Salbei in der Fuellung. Die besten meines Lebens. Das es erst die zweiten generell sind erwaehne ich nur der Form halber. Es regnet als wir Polen verlassen.

Schnitt. Wir sitzen auf dem Marktplatz von Zilina, Slowakei. Zurueck in der Eurozone. Der naechste Zug faehrt um 2h35. Es ist 22h. Robin spielt auf seiner Ukulele. Ich singe irgendetwas auf deutsch, franzoesich und polnischen Fetzen. Ein Polizeiwagen faehrt schon zum 3 Mal an uns vorbei. Im Zug leuchten Polizisten in die Abteile. Es regnet, als wir die Slowakei verlassen.

Schnitt. Wir verpassen unseren Anschluss. 2 Stunden Aufenthalt kurz nach der ungarischen Grenze. Die Fahrkartenverkaeuferin spricht deutsch. Wir kaufen trotzdem die falschen Reservierungen. Tauschen sie wieder um. Fahren endlich nach Debrecen, das letzte Mal umsteigen. Nochmal Aufenthalt. Die Innenstadt ist ganz schoen. Es gibt einen Rossmann. Einen DM. Es regnet als wir Debrecen verlassen.

Schnitt. Jemand klopf aggressiv gegen unsere Abteiltuer. Wir sind im letzten ungarischen Ort. Wir waren gerade eingeschlafen. „Passport!“ Als er sieht, dass wir Turisten sind, zieht er seine Mundwinkel etwas nach oben. „Have a nice Trip!“ Rumms, die Tuer geht zu. Gleich nach der Grenze geht sie schon wieder auf. Der ungarische Grenzbeamte trug eine blaue Uniform, gelbe Warnwaste. Der rumaenische traegt irgendetwas graues, das an die 70 erinnert. „Passport!“ „Where?“. Er geht. Wir stehen noch ca. 1 Stunde am Bahnhof.

Interntcafezeit vorbei.

Plaene aendern sich…

seitwaerts. Eigentlich wollten wir zusammen in die Slowakei. Zusammen nach Ungarn. Leider haben sich Robins Plaene auf Grund seines Studiums geaendert. Deshalb werden wir uns statt in Bratislava bereits in Bukarest trennen.

Er zurueck nach Frankreich, ich weiter nach Budapest, Wien, Prag. Das schwarze Meer werden wohl nicht sehen, aber dafuer bekommt er seinen Traumstudienplatz und ich mache Haupstadthopping.

Cynical City


funwaerts.
Der Stadtplan an der Wand neben mir ist mit kleinen bunten Pins gespickt. Wir sind im Sueden, gleich neben der Metrostation Kabaty. Die Strecke, die wir gestern mit dem Fahrrad zurueckgelegt haben, entspricht hier 3 1/2 mal der Laenge zwischen meinem kleinen Finger und Daumen. Aber beginnen wir vorne.

Einen Tag vor dzień Bożego Ciała und zwei Tage vor dem ersten EM-Spiel kamen wir in Warszawa an. Gegen viertel nach 11, ca. fuenf Stunden Zugfahrt hinter uns. Marcin, bei dem wir die naechsten zwei Naechte verbringen wollten, hatte uns mit auf eine Party von Freunden eingeladen. In irgendeinem Vorort, 45min mit dem Bus entfernt.

Wir steigen ein, wollen uns korrekt verhalten und erst einmal ein Bilety kaufen. Der Fahrer versteht uns leider nicht auf Anhieb und guckt anschliessend ein wenig grimmig. Jemand hilft uns, schliesslich halten wir 2 Tickets in den Haenden. An dieser Stelle soll gesagt sein, dass es durchaus ratsam ist, sich die Tickets an den Automaten zu kaufen, falls man eins kaufen moechte. Kontrolleure und innen sind allerdings auch eher Mangelware im Warschauer Nahverkehr.

Inzwischen ist es fast Mitternacht und der Bus ist voll mit Heimtorkelnden, Partysuchenden, uns. Vor den Fenster ziehen im Laternenlicht Hochhaeuser, Fabrikgebaeude vorbei, ein kleiner Wald. Nach 30min wieder vereinzelte Wohnhaeuser. An der Haltestelle werden wir von Marcin und seinem Mitbewohner in Empfang genommen. Auf der Party anschliessend mit Vodka und fast-Prosecco. Die meisten sprechen deutsch, einige fliessend. Nach 3 Tagen nur franzoesisch eine seltsame Abwechslung. Die Freunde machen Sachen wie Manager, Copywriterin, Apothekerin. Es ist gut, sich zu entwickeln, sagt eine, als wir auf dem Balkon stehen und in die anderen Wohnungen der Residenz gucken. Aus den Boxen versuchen die Toten Hosen verzweifelt ihre Liebe zu beweisen.

Nach zwei Nachtbussen und 3km Fussmarsch kommen wir in Kabaty an. Erklimmen den 3. Stock. Fallen endlich auf die Luftmatratze im Wohnzimmer. Gegen 12h werden wir von einer Prozession geweckt, die drei Mal direkt unterm Fenster vorbeizieht. Vielleicht sind es auch drei verschiedene Prozessionen, so genau koennen wir es nicht ausmachen. Genug Kirchen gaebe es auf jeden Fall im Viertel. Dafuer stehen wir nun erst einmal auf, machen Crepe-Teig. Danach gehts los. Fahrradstadttour. Zunaechst zur Wisła, am Ufer entlang. Nach den Hochhausvierteln, den grossen Strassen und Autoachterbahnen in der Stadt eine willkommene Abwechslung und eindeutig fahrradfreundlicher. Hier am Fluss, der Warszawa in zwei Haelften teilt, sei der einzige Ort der Stadt, wenn nicht sogar ganz Polens, an dem man ungestraft in der Oeffentlichkeit Alkohol trinken koenne, sagt Marcin. Dann erzaehlt er weiter ueber die Besetzung Warszawas, den Aufstand 1944, das in den Ruecken fallen der Roten Armee. Im II. Weltkrieg waren alle Bruecken zerstoert. Fluesse sind schliesslich strategisch wertvolle Punkte. Rechts war es rot, links braun. Seltsam Seitenverkehrt. Nach dem Aufstand beschlossen die Nazis, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen, teilten sie in kleine Quadrate und zerbombten eins nach dem anderen. The German Gruendlichkeit. Ab 46 wurde die Stadt wieder aufgebaut, Stueck fuer Stueck nach alten Vorlagen. Einige Gebaeude haben kleine Tafeln vor sich, auf denen Gemaelde oder Photos von vor 1944 abgebildet sind. Die Aehnlichkeit ist verblueffend. Zu Warschauer Aufstand von 1944 gibt es ein sehr gutes Museum, vielleicht zehn Geh-Minuten vom Bahnhof entfernt. Momentan wird dort auch ein Film gezeigt, in dem man ueber das zerstoerte Warszawa fliegt. Nur noch Truemmer. Auferstanden aus Ruinen erhaelt hier nochmal eine ganz andere Bedeutung.

Spaeter klettern wir auf das begruente Dach der neuen Unibibliothek, ein toller Ausblick ueber die Stadt. Manchmal stehen Marcin und sein Mitbewohner im Sommer an der grossen Fensterfassade, zeigen mit dem Finger auf die lernenden Student*innen und rufen laut „Ha Ha!“ Die Simpsons sind halt doch ueberall.

Es geht weiter nach Praga, zukuenftiger Hipsterstadtteil von Warszawa mit allerhand Kultur und Clubs und Kriminalitaet. Als wir im Sen Pszczozy stehen, fuehlt es sich fast so an wie in Berlin. Der Innenhof riecht nach gegrilltem Gemuese und man kann Club Mate kaufen. Die Toiletten sind in alten Fahrstuehlen, daneben gestanzelte Dali-Gemaelde.

Zwischen den Clubs immer wieder Ruinen, leer stehende Haeuser. Einige haben neue Fenster, daran erkennt man, dass sie bewohnt sind. Ich denke an Leipzig, die Kunst- und Kulturprojekte, die ueberall spriessen. Hier gibt es keine Mittel dafuer. Die Stadt moechte lieber alles Alte abreissen, neubauen, teuer vermieten. Klar, es gibt schon einige Projekte, aber es entwickelt sich alles noch. Momentan kommen die Leute lieber nur zum feiern hier hin.

Und zum feiern sind diese Woche allgemein viele nach Warszawa gekommen. Ueberall Polska-Rufe. Weiss-rot-geschminkte Gesichter. T-Shirts werden von fliegenden Haendlern auf Waeschestaendern verkauft. Die EM ist da. Und mit ihr Gaeste von ueberall. „Fun welcomes Fans“ steht am Hauptbahnhof. Chopin traegt verschiedene Fussballtrikots und begruesst alle auf bunten Plakaten. Troeten, Haende, die klatschen, Leuchtfeuer. Dazwischen Helfer*innen in orangefarbenden Warnwesten.

Kulturpalast Warschau

Gleich gegenueber vom Hauptbahnhof steht der Kulturpalast. Einst errichtet als Monument des Sozialismus, beherbergt er heute ein Museum der modernen Kunst. Fuer die einen Sinnbild der Unterdrueckung durch die Sowjetunion, fuer die anderen irgendwie Kult. Einige lassen ihn sich sogar auf den Ruecken tattoowieren. Allgemein ist Warszawa eine der widerspruechlichsten Staedte, die ich bisher kennen gelernt habe. So befindet sich heute beispielsweise im ehemaligen Gestapo-Hauptsitz das Bildungsministerium. In einer russischen Zitadelle das Ausbildungslager fuer die polnische Armee. Am deutlichsten wird der Widerspruch aber am Koenigsweg.

Turistenstrasse mit allerhand Sehenswuerdigkeiten. An einer Ecke gibt es ein Vodka-Restaurant. Hier isst man zum Vodka und trinkt nicht zum essen. Immer voll, immer ueberfuellt. Gleich gegenueber ist ein Platz, auf dem streng glaeubige Christen vor einigen Jahren ein Kreuz aufgestellt haben. Sie bewachen es, glauben, beten. Eines Abends kommt ein Besoffener aus der Vodka-Bar auf einen wachenden Mann zugetorkelt: „Was machst du da eigentlich? Das ist das wahre Polen!“ und zeigt auf die Kneipe hinter sich. „Ja, so siehts aus in Polen“, sagt Marcin. „Eine Nation irgendwo zwischen Vatikan und Vodka.“

 

Welcome to Hel

meerwaerts.

7h48 wollten wir los. Frueh, moeglichst frueh weg aus Berlin, moeglichst bald ueber die Grenze,los und weiter und weiter, dem Meer entgegen. Letztendlich sassen wir gegen viertel nach sieben in der Bahn , zum Bahnhof. Stiegern Moenckernbruecke in die u1 um. Den Aufmerksamen faellt bereits hier unser Fehler auf. Uns leider erst an der Prinzenstrasse. Also zurueck, schnell, gehetzt, mit Rucksaecken auf dem Ruecken, der sich langsam zuschwitzte. Rein in die S-Bahn an der Friedrichstrasse. Irgendwie am Bahnhof angekommen. Inzwischen war es zehn nach 7.

Ohen fruehstueck waren wir aufgebrochen, ohne Proviant. Ausser den kleinen Sesamkraeckern von Alnatura. Klassik und mit Kokos. Als wir uns nach den naechsten Zuegen erkundeten, entdeckten wir neben dem Inforationsstand der Bahn Gratisraffaelos. Der naechste Zug anch Stettin ging um 9h33, genug Zeit sich auch noch eine Bretzel zu kaufen und in den Aufstrick aus meinem Deckelfach zu tunken. Selten fuehlten wir ein so starkes Sollte-alles-so-sein-Gefuehl wie in diesem Moment.

Spaeter in Stettin die naechste Huerde. Wir verstanden kein Wort, niergends war eine Anzeigetafel mit den Gleisen. Dafuer gleich neben der Wechselstube eine Turisteninformation. Irgendwie auf Englisch verstaendigt. Es sei hier etwas komplzierter als in Berlin, sagte der Mann mir gegenueber. Anstatt die Gleise einfach durchzunummerieren gibt es ein Peron und auf dem Peron zwei Tor. Dass ich auch schon in Berlin ueberfordert war, verschwieg ich lieber.

Von Gdynia aus fuhren wir statt nach Leba (ausserhalb der Saison gibt es nur einen Bus pro Tag der zu dem abgelegen Ort zwischen See und Meer und Wanderduenen faehrt) weiter nach Hel, Yeah!

Hafen von HelEin kleiner Ort auf der Landzunge ueber Danzig. 17km in 2 1/2 Stunden. Wir trafen einen Chinesischlernenden, der uns Tips fuer die Unterkunft gab und von dem legendaeren 666er Bus nach Hel erzaehlte. Leider haben wir ihn in den zwei Tagen nicht zu Gesicht bekommen und befuerchten nun, dass es sich tatsaechlich nur um eine Legende handelt. Ansonsten ist Hel wirklich zu emfehlen. In der Saison Surferhochburg Polens, im Juni ein ruhiger, kleiner Ort an der Ostseekueste.

Heute Morgen sind wir schliesslich mit der Tramwaj Wodny nach Danzig gefahren. Von hier aus gehts spaeter weiter nach Warszawa, wo wir morgen mit unseren Couchgastgebern Crepes essen werden.

Interessante Fakten:

1. Man bezahlt mehr fuer 2 Subwaymenus, als fuer eine Nacht auf dem Campingplatz Helkamp in Hel.

2. In Danzig kann man sehr gut und guenstig vegetarisch/vegan essen. Greenway, zwischen Basilika und Bahnhof. Zwei prallgefuellte Teller fuer und Getraenk fuer 8euro!